Bewerber Ghosting: Wenn Talente untertauchen

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Aktualisiert: 22.08.2023 Lesedauer: ca 5min

Recruiterin sieht auf Handy nachdem Bewerber nicht zum Gespräch auftaucht

Früher war es durchaus üblich, dass Bewerber:innen keine Antwort von Unternehmen bekommen haben, nachdem die Bewerbung abgesendet war. Mittlerweile hat sich der Spieß umgedreht: Unternehmen sehen sich immer öfter mit Bewerber:innen Ghosting konfrontiert. Das Bewerbungsgespräch ist vereinbart oder der Vertrag sogar schon unterschrieben und dann passiert es: Die Bewerber:innen tauchen unter. Es gibt keine Antwort mehr, der Kontakt wird abgebrochen und jeglicher Versuch, die Bewerber:innen zu erreichen, läuft ins Leere. Der Begriff “Ghosting” stammt ursprünglich aus der Dating-Welt und bezeichnet das Phänomen, Personen einfach zu ignorieren und den Kontakt abzubrechen, statt abzusagen bzw. einen Chat zu beenden.  

Definition 

Von Bewerber:innen Ghosting wird gesprochen, wenn der Kontakt von Seiten der Bewerber:innen ohne jegliche Erklärung oder Vorwarnung komplett abgebrochen wird. Das kann in verschiedenen Formen passieren: Keine Antworten auf E-Mails oder Anrufe, ein “No-Show” beim Bewerbungsgespräch oder auch das Fernbleiben am ersten Arbeitstag trotz bereits unterschriebener Verträge. Auch der Versuch, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, wird ignoriert - die Bewerber:innen sind wie vom Erdboden verschluckt. Das kann, besonders für HR-Professionals und Recruiter:innen sehr frustrierend und demotivierend sein. 

In einer aktuellen hokify-Umfrage geben bereits 10 Prozent der Unternehmen an, dass sie häufig von Bewerber:innen geghostet werden - jede:r Zweite erscheint nicht zum Bewerbungsgespräch. Bei 26 Prozent der Befragten sind es etwa ein Drittel, also ein regelmäßiges Vorkommnis. 60 Prozent der Unternehmen haben glücklicherweise nur selten damit zu kämpfen, 4 Prozent kennen das Phänomen gar nicht. 

Grafik zu Bewerber Ghosting laut einer hokify Umfrage

Gründe 

Warum Bewerber:innen Unternehmen “ghosten”, kann viele verschiedene Ursachen haben, die nicht zwangsläufig mit dem Unternehmen oder dem Bewerbungsprozess zu tun haben müssen. Oft werden Kandidaten und Kandidatinnen von äußeren Faktoren (persönliche Umstände, gesundheitliche Faktoren, familiäre Veränderungen, Umorientierung…)   beeinflusst, manchmal gibt es aber sehr wohl Aspekte, die das Ghosting begünstigen. 

Wir stellen Ihnen die sechs wichtigsten Gründe vor, warum Bewerber:innen unvorhergesehen untertauchen. 

1. Langsame und intransparente Kommunikation 

Bewerbung abgeschickt, automatisierte Bestätigungsnachricht bekommen und dann erst einmal zwei Wochen Funkstille. So oder so ähnlich sehen viele Bewerbungsprozesse leider noch immer aus. Oft kommt erst nach mehreren Wochen eine Antwort, Absagen gibt es oft gar keine. In der Zwischenzeit suchen Bewerber:innen natürlich weiter, bewerben sich bei anderen Unternehmen und sind oft schon vom Markt, bevor die Rückmeldung auf die erste Bewerbung überhaupt in die Inbox flattert. Auch die Ungewissheit, wann mit einer Rückmeldung zu rechnen ist und wie der Bewerbungsprozess überhaupt aussieht, begünstigen Ghosting. Schnelligkeit zählt: Kandidat:innen erwarten sich nämlich nach drei Tagen eine Rückmeldung von Unternehmen, wie diese Studie von hokify zeigt. 

2. Komplexer Bewerbungsprozess

Nachdem bereits der Lebenslauf hochgeladen wurde, müssen nochmal alle Daten in das unternehmenseigene System eingegeben werden. Nach dem ersten Bewerbungsgespräch gibt es noch zwei Case Studies und ein Assessment Center. Neben dem Anschreiben müssen die Zeugnisse der letzten drei Schuljahre mitgesendet werden. Die Bewerbung kann nur über einen PC, nicht aber am Smartphone durchgeführt werden. Es sind verschiedene Ansprechpartner:innen, die nicht miteinander kommunizieren, auf Unternehmensseite für die Besetzung der Stelle zuständig. Oft haben Bewerber:innen mit vielen Hürden zu kämpfen, die die Jobsuche mühsam und langwierig werden lassen. Diese können wiederum schnell zum Abbruch des Bewerbungsprozesses oder Ghosting durch die Bewerber:innen führen.

3. Schlechte Erfahrungen mit Ghosting 

Keine Einladung zu einem Interview, aber auch keine Absage. Nach der oft automatisierten Bestätigungsmail meldet sich das Unternehmen auch nach längerer Zeit nicht mehr bei Bewerbenden. Aus Bewerber:innen-Sicht zeigt das, dass Ghosting die gängige Praxis im Bewerbungsprozess ist und dass das demnach auch von ihrer Seite aus in Ordnung ist. 

4. Große Auswahl bzw. besseres Angebot 

Derzeit gibt es auf dem Arbeitsmarkt viele offene Stellen. Dem gegenüber stehen jedoch vergleichsweise wenige Jobsuchende. Durch den demographischen Wandel, Fachkräftemangel und viele Pensionierungen wird die Situation noch verschärft. Dadurch haben qualifizierte Bewerber:innen gute Chancen auf einen Job und demnach die Wahl. Wenn Unternehmen ein besseres Angebot machen, wird dieses schnell angenommen - auch wenn der Bewerbungsprozess bei einem anderen Unternehmen vielleicht noch läuft. 

5. Konfliktscheue und mangelnde Professionalität

Vielen Kandidat:innen ist ihr Fehlverhalten entweder nicht bewusst oder sie sehen darin keine große Sache. Das kann an vergangenen Erfahrungen, Umgangsformen oder schlicht und einfach Unwissenheit liegen. Oder sie wollen ihren Rückzug aus dem Bewerbungsprozess aus Scham oder Angst vor einer negativen Reaktion nicht mit den Recruitern und Recruiterinnen besprechen.

6. Negative Eindrücke während des Bewerbungsprozesses

Oft beginnt der Bewerbungsprozess mit einem gewissen Eindruck des Unternehmens, der im Laufe des Prozesses revidiert wird. Vielleicht passen die Werte des Unternehmens doch nicht zu den Vorstellungen der Bewerbenden oder etwas hat das Bild des Unternehmens geändert. Vielleicht ist aber auch einfach der Bewerbungsprozess intransparent gestaltet oder die Kommunikation chaotisch. Dementsprechend wird sich einfach aus dem Bewerbungsprozess zurückgezogen, ohne groß darüber nachzudenken. 

Auswirkungen 

Die Folgen von Bewerber:innen Ghosting sind schwerwiegend für Unternehmen. Neben der investierten Zeit der Recruiter:innen und der Tatsache, dass der gesamte Prozess nochmals von vorne begonnen werden muss, sinkt auch die Belastung auf das Team nicht. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Vertrag bereits unterschrieben wurde. 

  • Verschwendung von Ressourcen: Zeit und Geld, die bereits in passende Bewerber:innen investiert wurden, bekommt das Unternehmen nicht zurück. 

  • Gefahr von personellen Engpässen: Die Situation entspannt sich (vorerst) nicht - Mitarbeiter:innen sind weiterhin belastet und der Personalmangel wird höher. 

  • Absage für passende Kandidaten und Kandidatinnen: Wenn der Job schon als besetzt galt, wurde in der Zwischenzeit vielleicht anderen, ebenfalls gut passenden Bewerbern oder Bewerberinnen abgesagt. 

  • Unsicherheit und Unplanbarkeit: Ist Beweber:innen Ghosting einmal passiert, ist oft die Angst vor einer Wiederholung vorhanden. Vielleicht wird nächstes Mal weniger voraus geplant oder bestimmte Aspekte offen gelassen - und die Unsicherheit, ob man sich nun auf diese:n Bewerber:in verlassen kann, schwingt auch mit. 

Maßnahmen 

Auch wenn nicht alle Faktoren, die Ghosting begünstigen, beeinflusst werden können, können Unternehmen präventiv Maßnahmen setzen, um die Chancen für Ghosting zu verringern. Eine der größten Stellschrauben ist dabei der Bewerbungsprozess und die Kommunikation, die Bewerbenden entgegengebracht wird. 

Bewerbungsprozess anpassen 

Der Bewerbungsprozess muss einfach, unkompliziert und mobil-optimiert sein. Die Bewerbung sollte in wenigen Schritten von überall aus möglich sein. Komplizierte Dokumente-Uploads und langwierige Bewerbungsschreiben stellen schon zu Beginn des Prozesses Hürden dar. Außerdem sollte schon nach der ersten Kontaktaufnahme kommuniziert werden, wie der Bewerbungsprozess aussehen wird und was von den Bewerber:innen erwartet wird. Sympathische und direkte Kommunikation auf Augenhöhe sollte den Bewerbungsprozess von Beginn an begleiten. 

Schnelle & transparente Kommunikation

Gute Kommunikation während des Bewerbungsprozesses ist das Um und Auf. Vor allem bei jungen Bewerbenden, die es gewohnt sind, im Stundentakt über Paketlieferungen informiert zu werden, ist zeitnahe und transparente Kommunikation ein Muss. Nach einer automatisierten Bestätigung über den Eingang der Bewerbung sollte spätestens nach wenigen Tagen ein (bestenfalls individuelles) Update zum Status der Bewerbung gegeben werden. Um Unternehmens-Ghosting zu vermeiden, sollte Bewerber:innen, die nicht für die ausgeschriebene Stelle in Frage kommen, zeitnah und persönlich abgesagt werden. 

Employer Branding 

Die Wunderwaffe der HR-Welt: Employer Branding. Sich als attraktive:r Arbeitgeber:in zu positionieren, sorgt dafür, Kandidaten und Kandidatinnen länger im Bewerbungsprozess zu halten und Ghosting zu minimieren. Ist das Bewusstsein für das Unternehmen als guter Arbeitgeber größer, ist auch der Wunsch, dort zu arbeiten stärker, was weniger Kandidat:innen dazu veranlasst, aus dem Prozess auszusteigen. Klar kommunizierte Benefits, Multi-Channel Employer Branding und eine authentische Präsentation des Arbeitsalltags tragen dazu bei, das Unternehmen attraktiv zu positionieren. 

Employer Branding kann verschiedene Formen annehmen. Ob Employer Branding auf Social Media, im öffentlichen Raum oder auf der hokify Job-Plattform selbst: der konsistente und strategische Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke ist oft der Schlüssel zum erfolgreichen Recruiting. - Karl Edlbauer, Gründer und Geschäftsführer von hokify 

Pre-Boarding & Persönliche Beziehung aufbauen 

Neben der schnellen Kommunikation ist es auch wichtig, den Bewerbungsprozess auf eine persönliche Ebene zu heben. So kann die Bindung zum Unternehmen bereits früh aufgebaut werden. Das sogenannte “Pre-Boarding” bezeichnet den Prozess, eine:n zukünftige:n Mitarbeiter:in schon vor Dienstantritt zu informieren und in das Unternehmen mit einzubeziehen. Persönliche Nachrichten, In-Person-Interviews oder zusätzliche Kommunikation, wie ein Newsletter oder die Einladung zu Firmenevents können dabei helfen. Fühlen sich Bewerber:innen mit dem Unternehmen und den Mitarbeiter:innen verbunden, fällt es meist schwerer, einfach die Kommunikation abzubrechen und die Recruiter:innen zu ghosten. 

Fazit 

Ghosting durch Bewerber:innen ist kein seltenes Phänomen, kann aber für Recruiting-Professionals sehr frustrierend sein. Bewerber:innen haben oft eigene Erfahrungen mit Ghosting von Unternehmensseite gemacht, hatten andere Erwartungen oder haben schlicht und einfach ein besseres Angebot bekommen. Komplizierte Bewerbungsprozesse und intransparente Kommunikation tragen dazu bei, Ghosting zu fördern. Die Folgen für Unternehmen können von verschwendeten Ressourcen bis hin zu einer stärkeren Belastung der Mitarbeiter:innen durch Personalengpässe reichen. Um Ghosting präventiv zu verhindern, sollte der Bewerbungsprozess unkompliziert und mobil funktionieren, die Kommunikation schnell und persönlich sein und von Employer Branding Maßnahmen unterstützt werden.

Julia ist gut darin, die Schwerkraft auszutricksen und schlecht darin, den Weg ohne Google Maps zu finden. Ihre Leidenschaft für Sprache und hat sie über die Tourismusindustrie zur Kommunikationsbranche geführt, wo sie ein Masterstudium in Digital Marketing und Kommunikation absolviert hat. In den hokify Karriere-Tipps versorgt sie dich regelmäßig mit den wichtigsten Tipps, Tricks und Infos rund um den Arbeitsalltag (inklusive dessen rechtlichen Regelungen) und den Arbeitsmarkt, damit du hoffentlich informierter in dein Berufsleben startest, als sie es anfangs war.

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